2015-06. 2| HILDA R.

Hilda ruft bei uns an. Wie´s geht und so, und dass sie ein Bild hat, das sie uns gerne schenken würde. Okay, danke, soll ich es holen kommen? Das wollte sie dann doch wieder nicht. Beim nächsten Anruf fragte sie, ob wir das Bild in die Basilika bringen könnten, sie würde es gerne der Kirche vermachen. Das ging noch einige Male so hin und her, wobei wir erst langsam die Hintergründe begriffen. Sie wollte einerseits das Bild loswerden, es andererseits aber nicht uns geben, da sie fürchtete, dass damit der Fluch, der am Bild haftet, auf uns übergeht. Davor hatte sie Angst.

Der Besuch kam dann doch zustande. Läuten, warten, Hilda öffnete, und ein den Atem nehmender Geruch kam entgegen. 35 m², ein Hund, zwei Katzen, sieben Sittiche und eine 87-jährige Frau, aus deren Plastik-Clogs das Blut ihres offenen Fußes floss. Eine Heimhilfe sagt uns später, dass sie schon über 20 Jahre in ihrem Job tätig sei, jedoch noch nie so eine Wohnung vorfand. Dabei hatte diese zu diesem Zeitpunkt bereits die erste Säuberungsaktion hinter sich. Der Versuch, Hilde in das Krankenhaus zu bringen, scheiterte. „Was ist mit denTieren, die werden mir dann weggenommen.“ Ohne ihre geliebten Tiere wollte sie nicht leben. Wir nahmen das Bild und fuhren ziemlich bestürzt und nachdenklich nach Hause. Es tauchten erstmals jene Fragen auf, die uns noch lange Zeit begleiteten: Wie ist das mit der Mitverantwortung, der Selbstbestimmung, der Würde des Menschen? Wer setzt die Maßstäbe, wo sind die Grenzen der Nächstenliebe?

Es dauerte noch viele Wochen bis Hilda nach einer großen Blutung die Rettung selbst verständigte und diese sie ins Krankenhaus brachte. Die vielen Telefonate davor und vor allem unser Versprechen, uns um die Tiere zu kümmern während sie einmal im Krankenhaus sein sollte, machten ihr den Entschluss leichter. Sie hätte die Nacht nicht überlebt. Hund, Katzen und Vögel waren während des Krankenhausaufenthaltes von Hilda bei uns untergebracht. Das Hin- und Hersiedeln wiederholte sich noch mehrere Male. Meist war es sehr kurzfristig und mit ziemlichen Stress verbunden. Einmal kam der Anruf von der Heimhilfe, dass Hilda einen blutenden Dekubitus hat, sie dringend ins Spital müsste, aber nicht will. Der Pfleger wiederum wollte und konnte das nicht weiter verantworten und machte eine Anzeige. Also rein nach Wien und checken was los ist. Die Wohnung von Hilda war fast zu klein, als nach mir noch der Amtsarzt, zwei Damen von der Fürsorge und zwei Polizisten kamen. Hilda ging freiwillig ins Krankenhaus. Es gab übrigens keinen Krankenhausaufenthalt, bei dem sie nicht einen Revers für eine vorzeitige Entlassung unterzeichnete.