2015-06. 1| IM GEDENKEN AN HILDA R.

Ende Mai starb Hilda. Sie wurde über neunzig Jahre alt. Hilda und ihr Mann waren Stammgäste in unserer ehemaligen Frühstückspension. Sie war Straßenbahnschaffnerin und übernahm später das Papierwarengeschäft ihrer Mutter. Ihr Mann arbeitete als Setzer in der Fahrschein-Druckerei. Im Laufe der Jahre entwickelte sich eine Freundschaft zwischen ihnen und meinen Eltern, von der nach der Schließung unserer Pension und dem Tod meiner Eltern noch ein wenig Kontakt über die jährliche Weihnachtskarte aufrecht blieb. Was dann vor vier Jahren passierte, lasse ich Hilda erzählen:

Mein Mann starb im Jahr 2002, ich lebe weiterhin in unserer alten Gemeindewohnung in Ottakring – gemeinsam mit meinem Pudel, meinen beiden Katzen und sieben Wellensittichen. Inzwischen bin ich 87, habe keine Kinder oder Verwandte. Meine Freundin, mit der ich regelmäßig telefonierte, starb vor einem Monat. Das Essen bekomme ich tiefgekühlt einmal wöchentlich vom Roten Kreuz. Meinen Hund führen Johanna, unsere Hausmeisterin und mein Nachbar Gassi. Dieser erledigt auch die finanziellen Dinge und kauft ein. Die Ersparnisse von mir und meinem Mann hatten wir als Altersvorsorge in Schmuck angelegt. Der ist jetzt weg. Bis vor drei Jahren räumte eine Haushilfe meine Wohnung auf. Einmal nahm sie auch ihren Freund mit, und dieser meinen Schmuck. Aus seiner Sicht wäre das kein Problem gewesen, ich hätte den Diebstahl nur bei der Versicherung melden müssen und dann den Verlust ersetzt bekommen. Nur, ich war nicht versichert. So kam es zu einer Anzeige und einer Gerichtsverhandlung. Es stellte sich heraus, dass die beiden mit diesem Betrug schon mehrfach erfolgreich waren. Der Mann kam ins Gefängnis und das Geld war weg.

Mein gesundes Misstrauen wird zunehmend gebrechlich. Eine neue Haushelferin kommt nicht mehr in Frage. Daher versuche ich – neben Kochen und Tiere versorgen -, auch die Wohnung selbst zu reinigen. Zugegebenermaßen gelang mir das immer schlechter und irgendwann war der Punkt erreicht, ab diesem ich niemanden mehr in die Wohnung lasse. Ich habe Angst davor, dass mir auf Grund des Zustandes der Wohnung meine Tiere weggenommen werden. Die Wohnungstüre ist die Grenze. Der Hund wird an dieser abgeholt und hier übergebe ich meinen Müll und kläre nötige Dinge ab. Das Essen wird bis hierher geliefert.

Mein Fuß schmerzt, ich habe eine offene, blutende Stelle. Ich wickle eine Fasche herum, die ich, so gut es geht, wechsle. Ich schlafe nur mehr auf der Couch, auf der ich auch den ganzen Tag über sitze. Oberhalb der Couch hängt eine Kopie eines Waldmüller-Bildes, welches von einem Wiener Kunst-Professor stammt. Auf diesem Bild – ein Geschenk meiner Schwägerin – wurden vom Künstler zwei Personen mit meinen Gesichtszügen und jenen meines Mannes gemalt. Irgendwann zerstritt ich mich mit meiner Schwägerin und seither habe ich immer stärker das Gefühl, dass dieses Bild verhext ist und mir nur mehr Unglück bringt. Ich würde es sehr gerne loswerden.