2015-06. 6| HILDA R.

Vor eineinhalb Jahren war es dann soweit – im Haus der Barmherzigkeit, dem Pflegekrankenhaus der Diözese Wien – wurde für Hilda ein Platz frei. Nur, sie nahm diesen nicht an, sie schaffte es einfach nicht. Es erfolgte eine Zurückreihung auf der Warteliste. Nun wurde es kompliziert. Die Heimhilfe drängte auf eine Lösung, eine 24-Stundenbetreuung wäre sich finanziell nur sehr knapp ausgegangen, die räumlichen Voraussetzungen dazu fehlten jedoch. Nach langen Diskussionen in der Familie und dem okay der Jugendorganisation kam dann das Ergebnis: Wir trennten einen Teil der Jugendräume, die sich in unserem Haus befinden, ab, versetzten eine Türe, änderten den Zugangsbereich und schufen so einen separaten Raum mit Küche und WC. Ein Jugendzentrum mit angeschlossenem Pflegebereich also. Der Pflegedienst in Wien beendete den Vertrag und wir siedelten Hilda knapp vor Ostern mit viel Bauchweh zu uns nach Mariazell.

Es folgten die ersten Ausfahrten mit dem Rollstuhl, Hilda verlor dabei zusehends ihr Unbehagen und begann Freude an der neuen Freiheit zu finden. Ausflüge, Mittagessen im Gasthaus, das Kaffeehaus nachmittags, neue Schuhe, neues Gewand – das Geld wurde bald knapp, und die Zeit. Wir konnten kaum mehr etwas anderes arbeiten, Hilda rief auch in der Nacht nach uns. Dazu kam noch, dass bei uns in der Osterwoche traditionell ein großes Familientreffen stattfindet, auf das sich alle freuten.

Die Stimmung wurde zunehmend gereizter – das Blödeste, was im Zusammenhang mit an Demenz Leidenden passieren kann. Sowohl Hilda als auch wir waren einem Nervenzusammenbruch nahe. Wie durch ein Wunder kam dann mitten in diese verfahrene Situation die Nachricht vom Pflegeheim, dass am Dienstag nach Ostern wieder ein Platz frei wird. Wow. Und was tun? Hilda wollte immer noch bei uns bleiben oder zumindest in ihre Wohnung zurück. Das ging aber nicht, die Heimhilfe wäre nicht mehr gekommen. Hilda war der Meinung, dass sie alles alleine schaffen würde. Undenkbar. Das heißt, bei uns konnte sie nicht bleiben, wir hätten nicht einmal mehr die Tage über Ostern geschafft. In ihre Wohnung konnten wir sie auch nicht zurückbringen und danach alleine lassen. Sie wäre zwangseingewiesen worden. In das Pflegeheim wollte sie nicht. Und gegen ihren Willen durften wir, schon alleine rechtlich, nichts unternehmen.

So saßen wir mehrere Stunden bei ihr, beruhigten sie und versuchten, das frühere Vertrauen wieder herzustellen. Irgendwann kam dann ihre Zustimmung zur Übersiedelung ins Heim. Jetzt nichts wie auf nach Wien. Das ging aber wiederum nicht, da der Platz erst vier Tage später frei wurde. So brachten wir sie mit einem Taxi auf gut Glück zunächst in das Wilhelminenspital nach Wien in der Hoffnung, dass sie dort zur Überbrückung aufgenommen wird. Sobald Hilda die Wiener Luft roch, wollte sie vom Spital und vom Heim nichts mehr wissen und nur in ihre Wohnung. Das vermittelte sie im Spital sehr deutlich: Wir saßen mit vielen Menschen in der Ambulanz und warteten bis ihre Nummer aufgerufen wurde. Das reichte Hilda. Sie begann laut zu rufen: „Hilfe, die haben mich entführt, die sind mit mir überhaupt nicht verwandt.“ Zuletzt klappte es doch, sie wurde aufgenommen und die Woche darauf in das Heim geführt, wo wir sie erleichtert empfangen durften.